Samstag, 9. Juni 2012

Nachtrag zu Pfingsten


Berliner Zeitung

Gerade, beim Sichten von Zeitungs-Ausschnitten zur tieferen Lektüre, stieß ich auf Arno Widmanns Besprechung der Ausstellung im Metropolitan Museum of Arts: „Vom Schmelztiegel der Kulturen“, in der Berliner Zeitung vom Pfingstwochenende. Den Artikel durchzieht das Erstaunen, wie im Vorderen Orient des 7. bis zum 9. Jahrhundert kulturelle und religiöse Strömungen scheinbar untrennbar ineinanderflossen, und Widmann wünscht sich „... ein Buch, eine Ausstellung, die einem die Radikalisierung erklärt, die fundamentalistische Absetzung, den Wunsch nach mörderischer Differenz.“

S. Fischer Verlag
Beim Lesen von Widmanns Artikel wurde ich gleich an die Schilderung von Abrahams Berufung in Thomas Mann: „Joseph und seine Brüder“ erinnert. Es war da ganz natürlich, dass seine Gefolgschaft auf der Reise einen Haufen kleiner Götter in Skulpturen mit sich führten, einziger Gott hin oder her. So rasch ging es nicht mit dem Monotheismus. Überhaupt ist die Manie, alles ideologisch und religiös einsortieren zu wollen, eine Schwäche unserer Tage, wie mir scheint. Ich war auch immer erstaunt über den Umstand, beim Lesen desselben Thomas Mann, wie es in Kairo von allen Völkern und Fremden nur so wimmelte, die Ägypter aber weder Frisur und Mode, noch sich sonst, wie mir schien, änderten.

Peter Brown hat in seiner Besprechung zur selben Ausstellung in der New York Review of Books von der Mai-Woche davor,: „The Great Transition“ – so finde ich – die bessere Wahl getroffen. Er feiert die Freude am Durcheinander und am Miteinander. Er zieht den Essay im Katalog von Anna Ballian heran, um Mitte des 8. Jhdts folgende Stimmung am Schrein von Sankt Sergios in Rusafa in Syrien wiederzugeben, wo Kalif Hisham und Christen zusammentrafen: „Muslims were not always welcome as fellow travellers. They could be pushy and proud. But they did not stifle debate. Their enterprise in what has been called 'competitive self-definition' ensured that they remained in constant dialogue with those around them.“ 1*

New York Review of Books
Er schreibt von Straßen, die sich öffneten für Handel und Kultur, als mit der arabischen Eroberung zwei große Reiche in sich zusammenfielen, Byzanz und das Reich der Sassaniden:  „For the first time since the days of Xerxes and Alexander the Great, it was possible to travel directly, within a single empire, from Alexandria to the foot of the Zagros mountains in Iran and beyond. We can see this happen in the mosaics and products provided to the exhibition from Jordan. Regions that had lain on the dead end of a frontier now become thoroughfares. Synagogues and churches adjusted rapidly to the development of what Stephen Fine calls a „new umbrella civilization.“ 2*

Es mag naiv klingen, aber in „The Great Transition“ entdecke ich ein Frohlocken über die Fülle künstlerischen Ausdrucks, die entsteht, wenn wir das Fremde nicht als Bedrohung und Gefahr bekämpfen, sondern mit Neugierde und Staunen begrüßen. Wir müssen uns ja gar nicht ändern, aber es ist auch kein Untergang, wenn diese Änderung sich an uns vollzieht. Der Geist weht eben, wo er will, und, was Peter Brown in seinem Artikel auch hervorhebt, im Grunde geht es darum, dass wir unser Menschsein miteinander in Fülle leben. Das hat uns auch Jesus gewünscht. Es würde Europa und darüber hinaus guttun, diesen Traum der Schirm-Zivilisation fern aller Gleichschaltung anzustreben, sie nicht aus Rechthaberei, Überlegenheit und Gier, sondern aus Handel und Kunsttreiben, aber vor allem aus Dialog, erwachsen zu lassen.

Der Artikel von Peter Brown lohnt, in Gänze gelesen und wiedergelesen zu werden. Er ist zur Zeit noch großzügigerweise ungekürzt im Internet nachzulesen (http://www.nybooks.com).

Bild Quelle: privat
Peter Brown, Geschichtsprofessor in Princeton, hat etliche Bücher zum Themenkreis veröffentlicht. In deutschen Ausgaben kann ich Ihnen derzeit folgende Titel gerne bestellen:
  • Autorität und Heiligkeit;Aspekte der Christanisierung des Römischen Reiches
  • Die Entstehung des christlichen Europa
Leider, leider ist die schöne Ausgabe seines Buches „Die letzten Heiden / Eine kleine Geschichte der Spätantike“ (The Making of late Antiquity) bei Wagenbach vergriffen.

Bestellt habe ich sein Werk „The World of late Antiquity“, das voraussichtlich Ende August / Anfang September eintreffen wird.Weiter Titel besorge ich gerne.

Reclam Verlag
C. H. Beck  Verlag
Thames & Hudson Publishers
Die englischen Zitate besagen in Etwa:

1* Der Große Übergang

Moslems waren als Mitreisende nicht immer genehm. Sie konnten fordernd und stolz sein. Aber sie würgten Debatten nicht ab. Ihr Unterfangen in dem, was 'wettkämpferische Selbstdefinition' genannt worden ist, stellte sicher, dass sie mit Allen in ihrem Umfeld im andauernden Dialog blieben.

2* Zum ersten Mal seit den Tagen von Xerxes und Alexander dem Großen war es möglich, in einem einzigen Reich direkt zu reisen, von Alexandria bis an den Fuß des Zagros Bergs im Iran und darüber hinaus. Wir können sehen, wie dies in den Mosaiken und Produkten geschieht, die der Ausstellung aus Jordan beigesteuert wurden. Regionen, die am toten Ende der Grenze gelegen hatten, wurden nun Durchzugsgebiete. Synagogen und Kirchen stellten sich rasch auf diese Entwicklung ein, die Stephen Fine eine „neue Schirm-Zivilisation“ nennt.


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