Samstag, 18. August 2012

Ein Füllhorn deutschsprachiger Prosa


aus Privatbesitz

Die Longlist für den deutschen Buchpreis steht also fest. Vor zwei Tagen traf das Büchlein mit den Leseproben ein. Im letzten Jahr lasen wir Teilnehmer der Vorleserunde am Montag uns durch die Liste und stießen auf viele gute Überraschungen.

Lesebuch zur Longlist
Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man einen Roman als Buch öffnet und zu lesen beginnt mit dem Vorsatz, dies bis zum Ende zu tun oder ob man eine Kostprobe, oft irgendwo der Mitte entnommen, anliest. Worauf mich die Devonshire Bloggerin dovegreyreader stieß: Ein Buch zum ersten Mal zu lesen ist eine unvergleichliche Erfahrung. Wenn man vorher ein bischen geblättert und angelesen hat, ist es damit vorbei. Es ist ja wie das erste Ankommen in einem neuen Ort. Wir werden ihn nie mehr mit denselben Augen und denselben Empfindungen sehen. Andererseits geben gerade Ausschnitte einen stärkeren Eindruck der Sprache, wie es beim Gedicht lesen geschieht, wo sich der Sinnzusammenhang auch erst später erschließt, und vorher Klang und Rhythmus, Vokabeln und einzelne Bilder erscheinen. Manchmal zieht einen natürlich auch eine Leseprobe gleich in die Handlung hinein, zieht einem zum Protagonisten oder vermag schon in der Kürze zu ärgern oder zu schockieren.

Wozu also das Lesebuch?
Es ist die Chance, zu entdecken und zu schmecken, was sich im Jahr 2012 so im deutschsprachigen Raum bei den Romanen getan hat. Wer in der Montagsvorleserunde hier in der Schröerschen Buchhandlung zur Entdeckungsreise, verknüpft mit einer guten Portion an Wagnis,  antreten möchte, ist herzlich eingeladen. Details finden Sie auf dem Blog zum Vorlesemontag.

Mehr zum Thema:
"Weltläufigkeit der deutschen Literatur"
Literaturkritiker Wolfgang Schneider über die Longlist für den Deutschen Buchpreis Wolfgang Schneider im Gespräch mit Klaus Pokatzky im Deutschlandradio Kultur vom 15. August

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels lädt ein:
Blind Dates zum Deutschen Buchpreis 2012: Elf Lesungen mit den Autoren der Longlist

Die Schröersche Buchhandlung bietet das Lesebuch kostenlos an. Ein Obulus von 1,60 € (Selbstkostenpreis) für die Kulturförderung (Vorleseprogramm, Ausstellungen, Blogpublikation in dieser Buchhandlung...) liegt in Ihrem freiwilligen Ermessen.

Mittwoch, 1. August 2012

Michael Maar und die Lust aufs Lesen


.,archy and mehitabel, by don marquis

Der fünfte Vorlesemontag im Monat hier in der Schröerschen gilt dem Sachbuch, aber warum war es diesmal Michael Maar und seine Literaturgeschichte(n)?

Michael Maar bei Berenberg
Sind es nicht meist unsere Freunde, die uns auf gute Bücher stoßen? So auch diesmal, und zwar war gerade der erste Roman von Michael Maar erschienen: „Die Betrogenen“, und der wäre wirklich gut, meinte D., war aber nicht zur Hand und eben auch kein Sachbuch. Also gingen wir statt dessen Maars Behauptung nach, „Warum Märchen unsterblich sind“ - so der Untertitel von „Hexengeflüster“.

Literaturwissenschaftler können auch wie gute Freunde sein. Schon im Anfangskapitel mit dem schönen Namen „Märchen als Meteoriten“ bekam ich große Lust, nun doch endlich mal den „Zauberberg“ von Thomas Mann zu lesen. Wir blätterten weiter zum Kapitel V, über Kunstmärchen, und G. hatte sich deswegen vorher gleich etwas im Schlemihl eingelesen, der zu Anfang zitiert und dann von Maar kommentiert wird:

Reclam
.,Die jüngere Forschung hat nicht übersehen, schreibt Maar, .,daß die beiden Männer rot werden bei ihrer Unterredung im Park, als gehe es um ein unzüchtiges Angebot – so wenig wie sie Chamissos stürmische Liebesbriefe an seinen Freund übersah, eine [sic] gewissen Louis de La Foye. Nicht ohne Grund hat Thomas Mann öfter auf den Schattenkauf angespielt und Chamisso einen bewundernden Essay gewidmet.

Gleich fingen wir an, darüber zu diskutieren, ob es tatsächlich ein unzüchtiges Angebot sei, und worin die Unzucht bestünde. Dem freudschen Fehler nach (siehe sic), geht’s wohl um Homoerotik.

Berenberg Verlag
Kurzum, wir waren schon drin im Buch und im Thema. .,Der Zauberberg“, wie ich nun las, war übrigens Thema seiner Dissertation, weswegen Maar sich da wohl auskennen muss. Trotzdem, als hingegebener Leser von Laurence Sterne und nachdem wir im Vorjahr lauter Errötungen und andere extreme Gefühlswallungen bei Kleist erlesen hatten, beispielsweise bei seiner .,Marquise von O...“, und auch, was den in Ausführlichkeit bei Maar besprochenen Andersen betrifft (und seinem Zeitgenossen Kierkegaard) neige ich eher zur Vermutung, dass die Zeit derlei Empfindsamkeit den Männern in allen Landen Europas bescherte, zumindest vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Es gab noch einen Errötenden in meiner Erinnerung, den ich aber gerade jetzt nicht mehr zuordnen kann – war er in .,Suchodol“ von Iwan Bunin?

Im Kapitel V allein, auf dem Weg zu Chamisso wirbelt Maar an Apuleius, Novalis, E. T. A. Hoffmann, Wilhelm Hauff, Perrault vorbei, auf zu James Krüss und Michael Ende, dann verweilt er detaillierter bei Brentano und Büchner. Weiter geht es mit Oscar Wilde, Lewis Caroll, C. S. Lewis und J. K. Rowling, dann wieder ausführlich Andersen – mit einem Bogen zu Thomas Mann und seinem .,Zauberberg“. Alles geschieht, um dem Kunstmärchen seine Geheimnisse zu entlocken oder eher, den Leser in sie hineinzulocken wie Tannhäuser in den Venus-Berg.

Dies ist ein Buch für Erwachsene, die hinter Hexen, Höhlen, Drachen erwachsene Vorstellungen hervorlugen sehen, die wissen, was im Dreißigjährigen Krieg und bei der Hexenverfolgung unter Menschen im Land so los war; auch, was die Seele quält und treibt. Auf dem Titelbild geht ein Glücksritter mit keckem Säbel einer scheinbar hellen Zukunft entgegen. Am Ende der tunnelartigen schattigen Allee sitzt auf lichtüberfluteten Stufen eine lockere Schöne. Dahinter gähnt schwarz die Türöffnung. …

.,Hexengewisper“ ist im Berrenberg Verlag erschienen, der von Michael Maar auch „Proust Pharao“ aufgelegt hat und „Leoparden im Tempel“, eine Sammlung literaturkritischer Aufsätze von Andersen bis Woolf. Alle Berenberg Bücher erfreuen mit verlässlich schöner Ausstattung: Halbleineneinband, gutes Papier, Satzspiegel und Schrift die dem Auge wohltun.

C. H. Beck
S. Fischer
Der erste Roman von Michael Maar, „Die Betrogenen“ ist in diesem Jahr im Verlag C. H. Beck erschienen. „In seinem glänzend geschriebenen literarischen Debut erzählt der Essayist und Kritiker Michael Maar von Kunst, Eitelkeit, Sehnsucht und Tod.“, so heißt es beim Verlag. Könnte man mal versuchen....

.,Der Zauberberg“ von Thomas Mann ist im S. Fischer Verlag lieferbar, gebunden, als Taschenbuch und auch als Band 5 der kommentierten Frankfurter Ausgabe.